Hinweis:
Die Gesetzesänderung vom 22.06.2021 ist hier noch nicht abgebildet und wird demnächst ergänzt. Nennenswerte Auswirkungen auf die Verjährung hat die neue Gesetzgebung allerdings nicht!


Beiträge zur Petitionsübergabe am 29.06.2020


Gesetzgebung bis zur Anpassung vom 22.06.2021


Wie ist in Deutschland Verjährung geregelt?
Ein Erklärungsversuch

Grundsätzlich lässt sich die Regelung zur Verjährungsfrist nicht „mal eben kurz“ erklären.
Es ist sehr kompliziert und unserer Erfahrung nach kann niemand (auch kein Anwalt und Polizeibeamter) vor Erstattung einer Anzeige eine verbindliche Aussage hierzu treffen.

Grundsätzlich sind Verjährungsfristen im StGB § 78 geregelt. Dabei ist Verjährung immer an das zu erwartende Strafmaß gebunden.

Wenn eine Tat zur Anzeige kommt entscheidet die Staatsanwaltschaft, in welches Sachgebiet sie einzuordnen ist und bestimmt dadurch die Verjährung. Dazu muss man wissen, dass in Deutschland die Verjährungsfrist immer an das zu erwartende Strafmaß gebunden ist, unabhängig davon um welche Tat es sich handelt oder ob es um Taten mit oder ohne Personenschaden geht.

Besondere Dynamiken bei Fällen von Kindesmissbrauch müssen mitgedacht werden

Bei sexuellem Missbrauch von Kindern ist dies besonders tragisch, weil das Erlebte, wenn überhaupt, oft erst nach vielen Jahren und Jahrzehnten ausgesprochen werden kann. Die Schutzmechanismen der Abspaltung und Verdrängung, die dem Kind das Überleben sichern und auch die Angst, Scham- und Schuldgefühle, die häufig von Tätern bewusst impliziert werden sowie die Tatsache, dass 80 – 90 % der Täter im sozialen Umfeld des Kindes zu finden sind, die Kinder sich also in der Regel in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Täter befinden, finden im Strafrecht nicht die geringste Beachtung. Täter sind sich dessen sehr bewusst und können so ihr unheilvolles Werk ungestört nicht selten über Jahrzehnte bis ins hohe Alter ungestört weiter betreiben.

Verjährung ist entbehrlich und schädlich

Ein sexueller Missbrauch ist nach Jahren im strafrechtlichen Sinne sehr schwer zu beweisen. Die Standards der Strafgerichtsbarkeit liegen hier sehr hoch. Daher ist die Verjährungsfrist hier ein völlig unangemessenes überflüssiges Hindernis! In Deutschland wird niemand ohne stichhaltige Beweise verurteilt; warum wird hier an einer Verjährung festgehalten? Wir kennen Betroffene, die von Tätern verhöhnt werden; Polizisten werden von Tätern nicht Ernst genommen; denn Täter kennen die  Rechtslage oft sehr gut.

Widersprüchliche Informationen in Bezug auf Verjährungsfristen

Von öffentlicher Seite hört man oft die Aussage, dass die Verjährungsfrist zwischen 5 und 30 Jahren liegt. Damit geben sich viele Menschen zufrieden und es wird lapidar kommentiert: „Wie? 30 Jahre und das reicht euch immer noch nicht aus!?“ Die Zahl 5 wird sehr häufig überhört. Hier bedarf es ausführlicher Erläuterungen:

1. Die Aussage zwischen 5 und 30 Jahre betrifft nur Fälle nach der Gesetzesänderung im Januar 2015.

2. Es gibt keine Verjährungsfrist von 30 Jahren im Bereich des sexuellen Kindesmissbrauchs, außer es wird in Folge des Missbrauchs der Tod des Kindes verursacht! Ein Zeitraum von 30 Jahren kann sich manchmal aus der gesetzlichen Ruhefrist bis zum 30. Lebensjahr (nur für noch nicht verjährte Fälle ab Januar 2015!) + Verjährung ergeben. Das gilt allerdings nur für schwerste bewiesene Tatbestände. In den meisten Fällen ist die Frist wesentlich kürzer, vor allem wenn der Zeitpunkt der Tat vor Januar 2015 liegt!

3. Für alle Tatbestände vor der Gesetzesänderung im Januar 2015 gilt die Rechtslage, die zum Zeitpunkt der Tat bestand. Ein Beispiel: Im Jahr 2007 haben wir den Missbrauch meines Bruders angezeigt. Dieser war gerade 29 Jahre alt geworden und vom 9. – 11. Lebensjahr Missbrauchsopfer in der Pfadfindergruppe. Er war nicht das einzige Opfer und der Täter war einer von 4 Gruppenleitern, die allesamt Täter waren (4 von 5!). Damals betrug die Verjährungsfrist 10 Jahre nach dem 18. Geburtstag des Opfers. Somit waren die Taten verjährt! Mein Bruder hat es nicht überlebt und wir wissen, dass der Täter heute immer noch aktiv ist …

Nach eingehender Recherche ist uns aufgefallen, dass im Hinblick auf die Verjährungsfristen viele widersprüchliche Informationen im Umlauf sind. Öffentliche Stellen, Websites von Anwälten, caritative Einrichtungen und viele andere geben sehr unterschiedliche Auskünfte. Das zeigt uns, dass es einfach viel zu kompliziert ist und in sich schon Widersprüche birgt. So werden Passagen, die durchaus plausibel scheinen, wiederum durch andere Passagen ausgehebelt, wodurch ein großer und unübersichtlicher Ermessensspielraum bleibt, der in keiner Weise der Tat und dem lebenslangen Leiden der Opfer gerecht wird!

Aufgrund der vielen widersprüchlichen Informationen haben wir uns entschieden, die Gesetzestexte in ihrem Ursprung aus dem Strafgesetzbuch zu zitieren und in Form einer Tabelle aufzuzeigen.

Wie es sich darstellt

Hier (s. o. Download Tabelle) haben wir versucht, den aktuellen Stand der Gesetzgebung (gültig ab 27. Januar 2015) abzubilden und zu verdeutlichen. Die Angaben erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit und beruhen auf unserem persönlichen Verständnis.

Bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres der Opfer ruht die Verjährung (nur für noch nicht verjährte Fälle ab Januar 2015!). Die in der Tabelle genannte Verjährungsfrist wird hinzugerechnet. Nach dem 40. Lebensjahr der Opfer ist also sehr selten eine Strafverfolgung der Täter  möglich.

Ausschlaggebend für die Berechnung ist aber immer die Gesetzgebung zum Zeitpunkt der Tat, sofern diese noch nicht nach der alten Rechtslage verjährt ist. Für noch nicht verjährte Taten vor dem 27. Januar 2015, können sich also ganz andere Fristen ergeben!

Für eine Tat, die einmal verjährt ist, kann die Verjährungsfrist im deutschen Recht nicht mehr rückwirkend wieder aufleben. Das heißt, dass wir derzeit nur für die Zukunft etwas verändern können. Alle bereits verjährten „Altfälle“ kann man auch im Falle einer Abschaffung der Verjährungsfrist leider nicht mehr verfolgen. Hier ist ebenfalls dringend eine Gesetzesänderung erforderlich!

Bedenkt man nun, dass Täter in der Regel Mehrfachtäter sind, besteht im Hinblick auf die Verjährung und auch im Hinblick auf das zu erwartende Strafmaß dringender Handlungsbedarf.

Die rechtsverbindliche Ermittlung der Verjährungsfrist von sexuellem Kindesmissbrauch ist nur im Einzelfall möglich. Die Entscheidung trifft die jeweilige Staatsanwaltschaft oder das Strafgericht.

Fazit:

Strafgesetzbuch § 78 Verjährungsfrist Absatz zwei in der Version des Tour41 e.V.:

„Verbrechen nach § 211 (Mord) und nach §§176 bis 176b (Sexueller Missbrauch von Kindern) verjähren nicht“

Tour41 e.V.