Der Fond sexueller Missbrauch muss erhalten bleiben!
Als Schwestern eines Betroffenen haben wir im Jahr 2007 unseren Bruder verloren. Er erhielt damals keine Hilfe und nahm sich im Alter von 29 Jahren das Leben. In seinem Namen gründeten wir zusammen mit Markus Diegmann und anderen den gemeinnützigen Verein Tour41 e.V.
In den letzten Jahren konnten wir u. a. zahlreiche Betroffene über den Fonds sexueller Missbrauch informieren und bei der Antragstellung unterstützen.
Der Fonds sexueller Missbrauch (FSM) wurde seit seiner Einrichtung im Jahr 2013 zu einer wichtigen und vor allem niedrigschwelligen Hilfe für Menschen mit dem Kindheitstrauma Missbrauch im familiären Bereich. Die Leistungen werden in Form von Sachleistungen gewährt. Sie müssen dazu geeignet sein, die Folgen des erlittenen Leids zu lindern.
Vielen Betroffenen erstattet der FSM den Eigenanteil für Therapiekosten oder medizinische Dienstleistungen etc. Er tritt dort ein, wo die Krankenkassen nicht zahlen; dort wo gesetzliche Leistungen teils erhebliche Lücken aufweisen. Die meisten Leistungen können nur über einen längeren Zeitraum hinweg als laufende Kosten abgerufen und erstattet werden.
Der FSM wurde 2013 von der Bundesregierung als ein Ergebnis der Beratungen des Runden Tischs sexueller Missbrauch eingerichtet und wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) verwaltet.
Bereits vor einigen Monaten erreichten uns Fragen von Betroffenen zu einer möglichen Auflösung des Fonds sexueller Missbrauch. Nun sorgt eine Pressemitteilung des Bundesrechnungshofs für große Verunsicherung. Werden die bereits bewilligten Leistungen noch kontinuierlich ausbezahlt? Wie lange kann ich noch einen Antrag stellen?
In der Stellungnahme des Bundesrechnungshofs heißt es:
„Das BMFSFJ verstößt seit Jahren bei der Verwaltung des Fonds Sexueller Missbrauch im familiären Bereich (Fonds) gegen gesetzliche Vorschriften. Der Fonds hat zudem jetzt schon eine Finanzierungslücke von mehr als 53 Mio. Euro.“ …
… „Das BMFSFJ verwaltet ihn und missachtet dabei grundlegende Vorgaben des Haushaltsrechts. Damit verletzt es auch das Budgetrecht des Parlaments. Es ist nicht bereit, sein Vorgehen zu ändern. Wie das BMFSFJ die wachsende Finanzierungslücke schließen will und wann es die Rechtsprobleme lösen wird, ist nicht ersichtlich. Die Regierungskoalition hat inzwischen beschlossen, den Fonds einzustellen. Ein Konzept für eine geordnete Abwicklung ist nicht erkennbar, im Gegenteil: Tausende Bescheide sind noch nicht abgerechnet. Es wird mehrere Jahre dauern, bis die Verfahren beendet sind. Das BMFSFJ muss die Haushaltsverstöße unverzüglich beenden und eine geordnete Abwicklung des Fonds einleiten.“ …
Auch die Finanzierung des Hilfetelefon sexueller Missbrauch über den FSM ist laut Bundesministerium für Finanzen (BMF) rechtswidrig.
„… Der Haushaltsgesetzgeber stellte dem Fonds auch nach Ablauf der ursprünglich geplanten Laufzeit Haushaltsmittel bereit. In den Jahren 2013 bis 2023 bewilligte er insgesamt 164 Mio. Euro. Für das Jahr 2024 sind keine Mittel mehr eingeplant.“ …
Und weiter:
„… Das BMFSFJ plante, den Fonds durch eine gesetzliche Regelung zu verstetigen. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) machte gegenüber dem BMFSFJ wiederholt deutlich, dass es dies nicht für notwendig erachte. So seien bereits am 1. Juli 2013 die Rechte von Betroffenen sexuellen Missbrauchs gesetzlich gestärkt worden. Außerdem verwies es darauf, dass ab dem 1. Januar 2024 das Soziale Entschädigungsrecht (Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch) neu geregelt sei. Anfang August 2023 beschloss die Regierungskoalition, den Fonds nicht gesetzlich zu verstetigen. Das BMF erwartet nun, dass das BMFSFJ den Fonds geordnet abwickelt.“ …
Weder das neu geregelte Opferentschädigungsgesetz (OEG), noch das 2013 verabschiedete Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs (StORMG) entsprechen im Entferntesten den Anforderungen an niedrigschwellige und adäquate Unterstützung Betroffener im Sinne des FSM und des Hilfetelefons sexueller Missbrauch. Vielmehr müssen diese Instanzen zusätzlich bestehen bleiben.
Was heißt das nun für die Zukunft? Wie geht es weiter? Die Einrichtung des Fonds sexueller Missbrauch sowie des Hilfetelefons sexueller Missbrauch war ein Meilenstein in der Wahrnehmung und Unterstützung von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit. Statistisch gesehen betrifft das jeden siebten Erwachsenen und auch heute sind durchschnittlich 2 Kinder pro Schulklasse von sexualisierter Gewalt betroffen. Auch in der Beratung aktueller Fälle ist das Hilfetelefon mittlerweile unentbehrlich. Dieses Ergänzende Hilfesystem (EHS) muss erhalten bleiben!
Wir haben bei der Geschäftsstelle des FSM nachgefragt und folgende Antwort erhalten:
„… wir verstehen, dass aktuell eine Verunsicherung bei den Klient:innen besteht und Sie das als Beratungsstelle auch in eine schwierige Position bringt. Der Bundesrechnungshof hat den FSM geprüft und einige Haushaltsverstöße festgestellt. Diese Verstöße werden jetzt behoben. Das Bundesfamilienministerium, das für den FSM zuständige Ministerium, möchte den FSM fortführenund tritt dafür in Verhandlungen ein. Klient:innen können beim FSM wie gewohnt Anträge stellen und Rechnungen abrechen.“
Der FSM darf nicht den Sparmaßnahmen der Bundesregierung zum Opfer fallen!
Helft uns mit Eurer Unterschrift, diese wichtigen Hilfen für Betroffene zu erhalten!
Steffi und Michaela vom Tour41-Team